Die goldenen Zwanziger

Die alte Normalität ist zurück

  • Schnelle Rückkehr zu alter Normalität und Krisenverdrängung
  • Zügige Überwindung des wirtschaftlichen Einbruchs
  • Deutschland als Exportnation in einem wiedererstarkten Freihandelssystem
  • Stärkung der politischen Mitte
  • Überwindung von Angst und Unsicherheit – Rückkehr zu altem Lebensgefühl mit ausgeprägtem Individualismus
  • Physische Kontakte dominieren wieder den Alltag – Neue Sorglosigkeit
  • Menschen folgen den alten Konsummustern und holen verpasste Freizeit- und Konsumchancen nach

 

 Die politische Mitte profitiert vom erfolgreichen Krisenmanagement – vermeidet aber wirkliche Veränderungen

Die politische Führung kommt in Deutschland nach der bewältigten Krise gut weg, denn das Land ist glimpfl ich davongekommen. Nicht nur das Management während der großen Wellen der Pandemie, sondern auch und vor allem die Organisation der bundesweiten Impfung der Bevölkerung liefen im Vergleich zu anderen Ländern weitgehend reibungslos. Die Wähler honorierten das gute Krisenmanagement und unterstützen die politische Mitte breit. Wer im Großen und Ganzen gut durch die schwierige Zeit geführt hat, der hat aus Sicht der Mehrheit der Bevölkerung das uneingeschränkte Vertrauen verdient. Populistische Protestbewegungen, die vor der Corona-Krise großen Zulauf hatten, verloren bereits während der Pandemie an Gewicht und gerieten in den Folgejahren immer mehr in Erklärungsnöte.

Die etablierten Schlüsselindustrien wie Automobil und Maschinenbau erholten sich schnell und blieben, unterstützt von einer auf Strukturerhalt bedachten Politik, die volkswirtschaftlichen Stützen des ganzen Landes. Für hochwertige Produkte „Made in Germany“ gibt es in der Welt nach wie vor ausreichende Nachfrage, so dass Deutschland seine etablierte Rolle als Exportweltmeister weiterhin ausfüllt. Die Politik sieht somit keinen Grund, gravierende strukturelle Veränderungen anzustreben. Wirklich disruptive Technologien, innovative Geschäftsmodelle und neue Branchencluster siedeln sich aus dem Grund eher in anderen Ländern an. Die digitale Transformation stagniert ebenso wie soziale Innovationen, denn nach der vorbildlich durchstandenen Krise sieht kaum jemand noch die Notwendigkeit für unbequeme Veränderungen. Die Erleichterung der überstandenen Pandemie überwog, und den wenigen Mahnern in der Politik entgegneten die Entscheider, dass man den Menschen nach einer solchen Krisenzeit keine weiteren Einschränkungen zumuten könne.

Kaufen, besitzen und verreisen – Privatkonsum und Exportfähigkeit stützen die Wirtschaft

Mit dem Ende der Corona-Pandemie machten sich Unternehmen und Konsumenten auf, die verlorenen Wachstumsjahre aufzuholen. An den Börsen waren neben traditionellen Industrien vor allem die kurzzeitigen Krisenverlierer wie Tourismusunternehmen bereits am kurz nach Ende der Pandemie in die Höhe geschnellt, und die Spekulanten sollten recht behalten: Nach der Krise holten die Menschen ihr »verpasstes Leben« intensiv nach. Viele Menschen wollten sich für die Entbehrungen der Lockdowns mit nachholendem Konsum und unbeschwerten Reiseerlebnissen entschädigen. Da aufgrund der vielfältigen Rettungsschirme kaum Arbeitsplätze verloren gegangen waren, hatte die Kaufkraft der Konsumenten nicht wesentlich gelitten. Die Nachfrage nach Konsumund insbesondere Luxusgütern stieg immens, so dass die industrielle Produktion brummte wie nie zuvor. Auch der Tourismus boomte mehr denn je: Fernreisen waren wieder absolut hip, und Begriffe wie „Flugscham“ gehörten der Vergangenheit an. Die Airlines, die das Jahr 2020 überlebt hatten, bauten besonders ihre touristischen Angebote wieder deutlich aus. Auch Geschäftsreisen nahmen im Vergleich zum Krisenjahr 2020 wieder erheblich zu: Zwar blieben die Kostenvorteile digitaler Kommunikation unbestritten, aber die Vorteile direkter physischer Kontakte zwischen Menschen waren nach dem ersten Home-Office-Hype ebenso off ensichtlich geworden. Somit findet ein Großteil der Geschäftstermine wieder vor Ort statt, was die Zahl der Geschäftsreisen wieder beinahe auf das Vor-Krisen-Niveau gehoben hat.

Internationales Bekenntnis zu Freihandel und globaler Fortschrittsglaube kurbeln Weltwirtschaft an

Die meisten Länder erholten sich – wie Deutschland – relativ schnell von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Zudem kam es in den Folgejahren vor allem in den Ländern zu Regierungswechseln, deren populistische Führungen das Corona-Virus zunächst geleugnet und verharmlost und später bei der Bekämpfung der Pandemie schlecht ausgesehen hatten. Um das globale Wirtschaftswachstum weiter anzukurbeln, strebten die meisten Nationen die Wiederbelebung des weltweiten Freihandelssystems an. Protektionistische Bestrebungen gehören seither weitgehend der Vergangenheit an, und das Vertrauen in die Effizienz einer globalen Arbeitsteilung überwiegt. Somit ist das geopolitische Klima weitgehend entspannt. Der Klimawandel wird allerdings – mehr noch als vor der Pandemie – nur als abstrakte Bedrohung am Horizont wahrgenommen. Insbesondere die »Wiederaufbau-Mentalität« führt dazu, dass offensichtliche Signale negiert und kurzfristige wirtschaftliche Erfolge priorisiert werden. Gemeinschaftlich unterzeichnete Absichtserklärungen machen sich gut, um beunruhigte Öko-Aktivisten zu beruhigen, doch werden Einschnitte vermieden – man will die wiedererstarkte Konjunktur bloß nicht ausbremsen. Weltweite gesundheitliche Bedrohungen werden nicht erwartet, denn die Erfahrungen mit COVID19 haben gelehrt, dass die medizinische Forschung schnell genug Antworten darauf zu finden in der Lage ist. Somit bleibt der Einfluss der Weltgesundheitsorganisation WHO überschaubar. Die dortigen Experten fokussieren sich auf Früherkennung und vielfältige weitere Gesundheitsthemen jenseits von Pandemien.

Die neue Normalität bleibt aus – alte Lebensgewohnheiten und Konsummuster kehren zurück

Nach der Krise ist wie vor der Krise. Mit der Rückkehr zu alten Gewohnheiten im Geschäftsleben dominieren auch wieder traditionelle Einstellungen. Ein großer Teil der Menschen defi niert sich über berufl ichen Erfolg innerhalb etablierter Rollen und Berufsgruppen – substanzielle Veränderungen werden wo immer möglich vermieden. Weder bei Beschäftigten im Gesundheitswesen noch bei anderen während der Pandemie als systemrelvant wahrgenommenen Berufsgruppen ist die Entlohnung strukturell verbessert worden. Immerhin haben sich aber die gesellschaftlichen Konfl iktlinien nicht weiter verschärft. Außerdem hat sich gezeigt, dass die als »old-fashioned« diskreditierten Sozial- und Bildungssysteme in Deutschland durchaus robust sind und sie, gerade im internationalen Vergleich, eine hohe Teilhabe ermöglichen. Im Alltag haben die Menschen nach der Zeit der sozialen Distanz schnell zu alten Lebensgewohnheiten zurückgefunden. Zunächst kehrten sie mit Macht in die Innenstädte zurück, besuchten Theater, Konzerte und Restaurants und feiertem auf Volksfesten, in Bars und Clubs sowie zu Hause mit Freunden den »Sieg« über das Virus. Endlich konnte man seine Lieben auch wieder ohne Sorge in den Arm nehmen, sich in größeren Gruppen treff en und nicht zuletzt die lästigen Masken entsorgen. Mit dem erzwungenen Verzicht auf viel Alltägliches während der Corona-Zeit ist bei vielen Menschen die Bereitschaft zu weiteren Einschränkungen gesunken. Ob Alltagskonsum, Luxusgüter oder Flugreisen – verzichten möchte man nicht mehr, denn wer weiß schon, was morgen kommt? Diese Fixierung auf kurzfristigen Genuss hat abstrakte Bedrohungen und den Grundgedanken der Nachhaltigkeit weiter in den Hintergrund rücken lassen. Auch der während der Coronazeit beschworene Rückzug in die Vororte und aufs Land war nur von kurzer Dauer – inzwischen ist der Urbanisierungstrend wieder allgegenwärtig. Geändert hat sich mit der Pandemie-Erfahrung allerdings die Wahrnehmung und persönliche Gewichtung sozialer Kontakte: soziales Vertrauen hat in den 2020er-Jahren wieder zugenommen. Das eigene Lebensglück und die Verbundenheit mit dem eigenen Umfeld sind für die meisten Menschen selbstverständliche Ziele. Die Welt retten kann man ja später noch….

 

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