Abschied vom Gewohnten

De-Globalisierung und Konsumverzicht

  • Klimakrise zwingt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu veränderten Prioritäten
  • Innerhalb neuer globaler Blöcke wird zunehmend regional produziert
  • Paradigmenwechsel in der Wirtschaft: Wachstum um jeden Preis gibt es nicht mehr
  • Vielfältige Innovationen fördern den Strukturwandel
  • Verschiebung der politischen Gewichte in Richtung stärkerer Regulierung und eines höheren öffentlichen Einflusses
  • Die breite Rückbesinnung auf nachhaltige Werte führt zu einem bewussten Konsumverzicht
  • Gesellschaftliches Leben fokussiert sich auf lokale Einheiten, und das Leitbild urbanen Lebens verliert an Glanz

 

Breiter Konsens und stärkere Regulierung tragen grundlegende Veränderungen

Die COVID19-Pandemie und die mit ihr zwangsweise verbundenen Umstellungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Alltag hatten in den frühen 2020er-Jahren vor allem dazu geführt, dass die Menschen ihre Angst vor Veränderung überwanden. Jetzt zwangen die fatalen Folgen des Klimawandels, die nach der Pandemie noch deutlicher wahrnehmbar waren, zum Umdenken. Veränderungen werden auf verschiedenen Ebenen – und vielfach im Konsens – vorangetrieben. Grundlage dafür ist, dass die Politik nach Jahren nur bedingt erfolgreicher Konferenzen mit freiwilligen Commitments zu einer konsequenten Bepreisung von Umwelt- und Klimafolgen übergegangen ist. Somit sind viele Konsumentscheidungen durch ein geändertes Preisgefüge geprägt: mal eben um den Globus für wenige Tage Strandurlaub ist für einen Großteil der Menschen ebenso unerschwinglich wie der übermotorisierte SUV für den Stadtverkehr. Nachdem das Vertrauen in Privatisierung und Deregulierung bereits vor der Corona-Krise erschüttert und vielfach von populistischen Strömungen ausgenutzt worden war, setzen die politischen Akteure nach der Krise konsequent auf eine stärkere Rolle der öff entlichen Hand. Im Rahmen eines „Green New Deal“ wurden neue Rahmenbedingungen gesetzt und aktive Regulierungen vorgenommen – inklusive direkter Verbote besonders schädlicher Produkte oder Aktivitäten. Gemeinwohl-Ökonomie war mehr als ein Schlagwort, so dass auch im unternehmerischen Bereich exzessive Wettbewerbsstrukturen überwunden und neue Kooperationsformate etabliert wurden. Die strenge Ausrichtung auf Klimaziele führte aber nicht zum Stillstand oder zur Knebelung der Wirtschaft, sondern stimulierte dem Gemeinwohl dienliche Innovationen und letztlich auch ein neues Selbstverständnis in breiten Teilen der Unternehmerschaft.

Sowohl Nachhaltigkeit als auch der Schutz der heimischen Unternehmen treibt die De-Globalisierung der Weltwirtschaft

Auch wenn die allgemeine Notwendigkeit für Klimaschutz und ökologisches Handeln weltweit akzeptiert wird, so sind die politischen Ansätze sowie die ökonomischen Interessen und Möglichkeiten in den globalen Georegionen sehr unterschiedlich. Sowohl Protektionismus und die technologische Entkopplung als auch die sehr diversen Bepreisungen von Energie und Umweltgütern mit der Verteuerung von Logistik- und Handelsleistungen führen zu einem massiven Trend der De-Globalisierung. Dabei entstehen geo-regionale oder Systemblöcke. Selbst innerhalb der Europäischen Union treten die Interessengegensätze immer stärker zu Tage, so dass sich eine EU der verschiedenen Geschwindigkeiten ausprägt. Für Deutschland und eine Reihe weiterer europäische, Länder erscheint der eingeschlagene Weg alternativlos, denn durch die Suche nach politischen Verbündeten würde man nur weitere wertvolle Zeit verlieren. Der breite nationale Konsens ist, dass die Resilienz gegen externe Schocks unabdingbar ist. In allen Sektoren spielen Vorausschau und Absicherung eine wesentliche Rolle. Der Begriff der Nachhaltigkeit erfährt in diesem Kontext eine Aufwertung, denn durch die Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte vor allem für nachfolgende Generationen ist die Krisenfestigkeit inhärent.

Nachhaltigkeit ist das Leitmotiv der gesamten deutschen Wirtschaft – das alte Wachstumsparadigma hat ausgedient

Die konsequente Umsetzung von Nachhaltigkeit in Politik und Alltag sowie die De-Globalisierung der Weltwirtschaft führen zu einem massiven Strukturwandel der deutschen Wirtschaft. Grundlage ist Wandlung von einer linear gestalteten Wirtschaft zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft. Dabei stehen Sektoren mit einem kritischen ökologischen Fußabdruck unter massivem Veränderungsdruck. Vielfach verlieren sie auch an volkswirtschaftlichem Gewicht, während sich für Unternehmen in anderen Sektoren ein enormes Entwicklungspotenzial entfaltet. Das alte Paradigma quantitativen Wachstums wird dabei konsequent überwunden – und „green washing“ hat kaum noch eine Chance. Mit der ökologischen Transformation entwickelt sich die Konsum- zu einer Nutzengesellschaft: Nicht mehr möglichst viele Waren nur für den kurzfristigen Einsatz, sondern möglichst kluge Ideen und eine nachhaltige Nutzung zu angemessenen Preisen lautet das neue Leitmotiv. Sharing-Modelle und andere Ansätze der gemeinschaftlichen Nutzung gewinnen schnell an Bedeutung. Auch wenn neue Technologien immer noch wichtig sind, so gewinnen soziale Innovationen zunehmend an Bedeutung. Der Erfolg neuer Produkte und Services wird letztlich an ihrer Wirkung auf die Gesellschaft gemessen. Entwickelt werden die damit verbundenen digitalen Geschäftsmodelle häufi g von kleineren, regional verwurzelten Anbietern, die nah an ihren Kundinnen und Kunden mit ihren spezifi schen Bedürfnissen und lokalen Gegebenheiten sind. Da Deutschland in dieser regionalisierten Wirtschaft eine Vorreiterrolle einnimmt, konnten sich einige der hiesigen Anbieter auch zu digitalen Champions entwickeln.

Die Menschen halten inne, besinnen sich auf nachhaltige Werte und die wirklich wichtigen Sozialkontakte

In den 2020er-Jahren haben sich die Menschen von vielen Gewohnheiten verabschiedet: von grenzenloser Mobilität, von ungezügeltem Konsum und von den Alltag dominierender Erwerbsarbeit. Mit der Entschleunigung ist der Alltag aber nicht einsamer geworden – eher im Gegenteil: die sozialen Bindungen in den Nachbarschaften sowie den lokalen und regionalen Umfeldern werden gepflegt, und parallel entstehen vielfältige virtuelle Kontakte, die sich im Laufe der Zeit nicht mehr wie eine schlechtere Alternative anfühlen. Freizeit und Tourismus erfolgen wesentlich achtsamer Lebensqualität zeigt sich nicht mehr unmittelbar in der Erreichbarkeit hipper Clubs und angesehener Theater, glitzernder Shopping-Meilen oder der Konzentration potenter Arbeitgeber. Durch die Virtualisierung von Arbeit und die gestiegene Wertigkeit von Natur haben ländliche Räume deutlich an Gewicht gewonnen. Städte spielen zwar immer noch eine wesentliche Rolle, doch wird bei ihrer Gestaltung nicht nur auf Klimaneutralität geachtet, sondern auch dem Konzept der menschengerechten Stadt gefolgt. Stadtteile werden zu autarken Vierteln, die jetzt das „Dorfleben“ nachempfi nden – so ähnlich wie früher die ländlichen Räume dem urbanen Ideal folgten. Der Zugang zu kulturellen Angeboten ist breit, und der Konsumverzicht ist zwar politisch gesteuert, aber durchaus auch gewollt. Nicht mehr ständig dem neuesten Trend hinterherjagen zu müssen, um dazu zu gehören, hat für viele Menschen auch etwas Befreiendes. Die Vielfalt kommt dabei nicht zu kurz: die Einzigartigkeit des Individuums lässt sich auch und vielleicht gerade ohne grenzenlosen Massenkonsum ausdrücken. Die Einschränkung des räumlichen Radius der Menschen führt auch nicht zu Vereinsamung, denn die sozialen Kontakte, vor allem in Nachbarschaften, Vereinen und Kommunen, sind intensiv und werden durch die virtuelle Welt lediglich ergänzt.

 

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