Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahre 2040

Im Rahmen des vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie geförderten Projekts „Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“ war die Hochschule Kempten dazu aufgefordert Zukunftsszenarien zu entwickeln, die alternative Entwicklungen und mögliche Zukünfte des Tourismus in Bayern aufzeigen. Die Entwicklung dieser Zukunftsszenarien 2040 soll zu einem gemeinsamen Zukunftsverständnis aller Tourismusakteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik beitragen und als Basis für die zukünftige strategische Arbeit in der Bayerischen Tourismusbranche dienen.


Die in dieser Studie beschriebenen Szenarien sind in einem gemeinschaftlichen Entwicklungsprozess auf Basis der Methodik des Szenario-Management entstanden. Getragen wurde der Szenario-Prozess von insgesamt zwanzig Teilnehmern aus fünfzehn Unternehmen und Organisationen. Aus dem systematischen Szenarioprozess haben sich fünf Themenfelder mit jeweils spezifischen Zukunftssichten ergeben:


•    Themenfeld Digitalisierung: Wie entwickelt sich die Digitalisierung der Tourismus-Branche? Welchen Mehrwert liefert die Digitalisierung für den Touristen?
•    Themenfeld Nachhaltigkeit: Wie nachhaltig entwickeln sich die Tourismus-Destinationen? Schränkt nachhaltige Mobilität den Tourismus ein?
•    Themenfeld Wachstum des Tourismus in Bayern: Wie vielfältig wird das touristische Angebot in Bayern zukünftig sein?
•    Themenfeld Struktur der bayerischen Tourismus-Wirtschaft; Wie agil kann die bayerische Tourismuswirtschaft auf Veränderungen reagieren?
•    Themenfeld Tourismus-Politik: Welche finanziellen Spielräume hat die Tourismus-Politik?


Aus der Kombination dieser und weiterer Themenfelder ergeben sich sieben Szenarien, die zusätzlich in einer Landkarte der Zukunft angeordnet sind:

 

 



Die sieben Szenarien lassen sich wie folgt beschreiben:

Schleichender Kontrollverlust (Szenario 1)
Von Dritten gesteuertes, nicht-nachhaltiges Wachstum führt in Hotspots zum „Overtourism“: In einer dynamischen Welt verlieren Deutschland und seine Tourismusregionen schleichend den Anschluss an die florierenden Regionen, können sich allerdings noch auf dem guten Ruf der Vergangenheit ausruhen und positive Erträge erwirtschaften. Wie Heuschrecken  überfallen Touristen die Hotspots und lassen den Wunsch nach Echtheit und Authentizität hinter sich. Die Akteure der Tourismusbranche leben im „Hier und Jetzt“ und ignorieren die Herausforderungen der Zukunft. Die Bevölkerung in den Standorten leidet unter dem ungesteuerten Tourismusangebot
Alles im Flow (Szenario 2)
Bayerische Identität lockt europäische Touristen mit nachhaltigen Angeboten in die Hotspots: Deutschland  versteht sich als Tourismusdestination mit herausragender Bedeutung. Die positive Wirtschaftslage erlaubt Politik und Verbänden viele Instrumente einzusetzen, die diese Entwicklung beflügeln. Während ausländische Touristen gezielt an international berühmte Hotspots geleitet werden, erfreuen sich insbesondere die inländischen Touristen an den naturnahen Urlaubsdestinationen in der Fläche. Die hohe Anziehungskraft bayerischer Destinationen ist auch auf die Pflege bayerischer Identität und den Zusammenhalt von Bevölkerung und der Tourismus-Branche zurückzuführen, welche ein authentisches Urlaubserlebnis möglich macht.
Digital Dirndl (Szenario 3)
Agile Tourismusanbieter machen Bayern zum globalen Ziel für vornehmlich post-materiell orientierte Kunden: Wirtschaftliche Stabilität und Investitionen in die Zukunftssicherung, insbesondere bei der digitalen Infrastruktur, sichern den Wohlstand. Die anspruchsvollen Touristen präferieren authentische Destinationen sowie die Möglichkeit, umwelt- und sozialverträglich zu verreisen. In der stark digitalisierten Wertkette sind die bayerischen Wurzeln auch weiterhin Aushängeschild für viele Branchen-akteure. Die Kooperationen aus großen und kleinen Akteuren bilden das Gerüst von nachhaltigen und innovativen Destinationen. Die zahlreichen Touristen aus nah und fern akzeptieren die Lenkungsmaßen an den Standorten, was auch in der Bevölkerung zu hoher Akzeptanz des Tourismus führt.
Neue Verträglichkeit (Szenario 4)
Klimawandel zwingt Tourismus zu völlig neuen Ansätzen – Wachstum nur noch in der Fläche: Gesellschaft und Staat handeln in Einklang für ein anspruchsvolles Ziel: Umwelt- und sozialverträgliches Wirtschaften soll die Zukunftsfähigkeit Deutschlands/ Bayerns sichern. Die post-materiell ein-gestellten Touristen sind sich dabei ihrer Verantwortung bewusst und verändern ihre Lebensgewohnheiten, was sich auch beim Urlaubsverhalten zeigt. Den identitätsbewussten Akteuren der Tourismusbranche wird dabei einiges abverlangt, jedoch dominieren agile Unternehmen das Geschehen und erkennen durch die klare Ausrichtung auf Nachhaltigkeit Wettbewerbsvorteile gerade im Wettbewerb gegen Reiseziele fernab.
Macht der Algorithmen (Szenario 5)
Umbruch der Tourismus-Branche mit spezialisierten nachhaltigen und KI-gestützten Services in einer regionalisierten Welt: Die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien, insbesondere im Bereich Digitalisierung und KI, traditionelle Wertketten verändern, ist rasant. Der Staat fokussiert sich auf übergeordnete Themen-felder und überlässt die Branchenentwicklung dem Markt. Gerade die post-materiellen Touristen fordern von den Akteuren der Branche, sich den neuen KI-Entwicklungen zu verschreiben und ganzheitlich gesteuerte Tourismusangebote in den Markt zu bringen. Authentizität und bayerische Identität spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Destinationen werden austausch-bar und die Profilierung beschränkt sich überwiegend auf die Möglichkeit der Vernetzung optimierter Angebote.
Ausverkauf der Heimat (Szenario 6)
Globale Tourismuskonzerne dominieren die Branche jenseits von Traditionen und Nachhaltigkeit: Klimaschutz und seine Auswirkungen bedrohen den Wohlstand Deutschlands. Maßnahmen, um dem entgegen zu wirken, bündeln allerdings alle Aufmerksamkeit, wodurch Themen wie Tourismus-förderung ins Hintertreffen geraten. Der Zeitgeist lässt auch die Bevölkerung in Sachen Umwelt- und Sozialverträglichkeit umdenken. Jedoch wirkt es so, als würden Touristen im Urlaub bewusst Abstand vom Verzichtsdenken nehmen, um das Leben wenigstens hier in vollen Zügen zu genießen. Globale und auf KI spezialisierte Tourismuskonzerne übernehmen das Ruder und bieten Standard-leistungen an, mit denen verwurzelte und identitätsnahe Akteure aus dem Markt getrieben werden.
Tourismus am Ende? (Szenario 7)
Kritische Wirtschaftslage, verändertes Reiseverhalten und anspruchsvolle Kunden setzen althergebrachten Akteuren zu: Die schlechte wirtschaftliche Lage hat das Land und damit auch die Tourismusbranche im Griff. Man ist dem Klimawandel und seinen Folgen ausgeliefert und Maßnahmen dagegen verlaufen im Sand. Die Tourismusregion Bayern verliert im Ausland an Attraktivität und Gäste kommen überwiegend noch aus dem Inland, allerdings bei sinkender Anzahl. In der Branche wird lediglich versucht, den Status quo zu halten und innovative Konzepte werden hinten angestellt. Eine Überbeanspruchung der touristischen Ziele und Destinationen findet entsprechend nicht mehr statt – vielmehr gewinnen andere Destinationen im internationalen Wettbewerb an Bedeutung.


Für Szenarien, mit denen im Sinne von „Denk-Werkzeugen“ sehr unterschiedliche, teilweise extreme Möglichkeiten beschrieben werden, lassen sich sinnvoll keine Wahrscheinlichkeiten bestimmen. Da aber in vielen Entscheidungsprozessen trotzdem Aussagen zu gegenwärtigen Entwicklungstendenzen gewünscht werden, wurde nach der Szenario-Entwicklung eine Szenario-Bewertung durchgeführt. Durch diese Bewertung wurde zunächst deutlich, dass die beiden Szenarien 1 „Schleichender Kontrollverlust“ sowie 2 „Alles im Flow“ als Kontinuitäts-Szenarien interpretiert werden können. Gleichzeitig weisen sie hinsichtlich der gewünschten Zukunft einen großen Unterschied auf. Die beiden Zukunftsbilder repräsentieren also in gewisser Weise eine negative sowie eine positive Fortentwicklung der Gegenwart.


Dem stehen mit den Szenarien 3 „Digital Dirndl“ und 4 „Neue Verträglichkeit“ zwei Ziel-Szenarien gegenüber. Diese beiden Zukunftsbilder repräsentieren den Kern des Wunschraums – liegen aber weiter von der Gegenwart entfernt. Innerhalb der beiden Zielszenarien 3 und 4 zeigt sich ein zentraler Zielkonflikt für den Tourismus in Bayern. Im „Digital Dirndl“ wird ein nachhaltiges, aber branchenfokussiertes Wachstum beschrieben. Hier kann die Tourismusbranche am allgemeinen (=Urban & Fläche) und auf die eigene Branche fokussierten Wachstumsziel festhalten. Dies wäre mit einer hohen (bis überhohen) Auslastung der Tourismusinfrastruktur verbunden.

 

Grundlage für das Wachstum wären positive Rahmenbedingungen wie Einkommenszuwächse, freie und günstige Verkehrsanbindungen sowie eine weiter zunehmende Frei-zeit mit entsprechenden Reisezeit-Budgets. Demgegenüber steht die „Neue Verträglichkeit“ mit einer ausgewogenen Entwicklung sowie einer Abkehr vom einseitigen Wachstumsparadigma. Dies würde beispielsweise bedeuten, Wachstum in Hotspots aktiv zu begrenzen, auf nicht-nachhaltiges Wachstum zu verzichten und einen ausgewogenen Tourismus im Einklang mit den Interessen der einheimischen Bürger umzusetzen. Gleichzeitig wäre dies ein Ziel, welches auch in kritischeren Umfeldsituationen realisierbar wäre.


Das Szenario 6 „Ausverkauf der Heimat“ und insbesondere das Szenario 7 „Tourismus am Ende?“ können als Risiko-Szenarien verstanden werden. Sie beinhalten kritische Entwicklungen, die es möglichst zu vermeiden gilt.


In der Landkarte der Zukunft findet sich schließlich noch das visionäre Szenario 5 „Macht der Algorithmen“. Viele Charakteristika in dem Szenario mögen heute eher wie Science Fiction klingen, aber die rasante Geschwindigkeit des technologischen Wandels macht es unabdingbar, auch solch eine Zukunft für den Tourismus zu konstruieren und seine Folgen für die Branche zu beschreiben. Allerdings fällt es umso schwerer festzulegen, welche Entwicklungen in diesem Szenario wirklich Chancen und welche Gefahren sind – noch zu unklar sind die Folgen des technologischen Wandels. Das folgende Bild fasst die Interpretation der Szenarien zusammen:

 

 




Der Szenario-Report kann hier heruntergeladen werden.

 

 

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