Die kontinuierliche Krise

Nährboden für autoritäre Ideen

  • Schwere und langanhaltende Rezession mit einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit
  • Rettungsmaßnahmen haben die Abkehr vom globalen Welthandel verstärkt
  • Die Welt ist in verschiedene Einflusssphären zerfallen, die in ihrer Technologie- und Innovationspolitik nach höherer Autarkie streben
  • Struktureller Rückgang der Innovationsfähigkeit
  • In aufgewühlter Stimmungs-Demokratie wächst der Wunsch nach einer „Politik der starken Hand“
  • Kein gesellschaftliches Einvernehmen über Reformen
  • Traditionelle Konsummuster werden verteidigt, und die Virtualisierung des Alltags bleibt oberflächlich
  • Menschen folgen den alten Konsummustern und holen verpasste Freizeit- und Konsumchancen nach

 

Langanhaltende Rezession, Arbeitslosigkeit und Zerfall der Welt in einander misstrauende Blöcke

Die während der COVID19-Pandemie propagierte globale Solidarität hat nicht lange gehalten. Zwar waren die gesundheitlichen Folgen, auch in Europa und Nordamerika, schnell überwunden, und weitere Pandemien waren nicht zu verzeichnen – aber die ökonomischen Kollateralschäden der zahlreichen Lockdowns und Rettungsprogramme führten zu einem Dominoeff ekt in zahlreichen Volkswirtschaften rund um den Globus. Im Rahmen einer schweren und langanhaltenden Rezession wendeten sich immer mehr Staaten vom globalen Welthandel ab, wodurch die weltwirtschaftliche Dynamik gebremst und insbesondere stark exportorientierte Länder getroff en wurden. Die Welt ist – entgegen der Versprechen der frühen 2020er-Jahre – seither in verschiedene Einflusssphären zerfallen, die in ihrer Technologie- und Innovationspolitik nach höherer Autarkie streben. Der globale Einfluss Chinas und anderer asiatischer Wirtschaftsmächte nimmt massiv zu, während die Europäische Union im »Kleinklein« ihrer Einzelinteressen versinkt und im globalen Wettbewerb der Georegionen weiter zurückfällt. Immer größere Teile der europäischen Gesellschaften setzen auf Abschottung – gegenüber den übermächtig erscheinenden Rivalen aus Fernost ebenso wie vor den von der strukturellen Krise betroff enen Menschen in Afrika oder dem Nahen Osten, für die Europa trotz allem weiterhin als attraktiver Zufluchtsort gilt. Die internationale Entwicklung ist gelähmt von der zunehmenden Blockbildung, die wenig einheitlich nach Georegionen, politischen Wertvorstellungen oder schlicht nach ökonomischen Interessen erfolgt. In diesem fragmentierten Umfeld ist die Politik kontinuierlich damit beschäftigt, kurzfristige Krisen und Konfl ikte zu entschärfen, und das bei abnehmendem Vertrauen zwischen den Groß- und Mittelmächten. Dem angesichts der eher statischen Wirtschaftsstruktur umso wichtigeren Umwelt- und Klimaschutz wird trotz der unablässig mahnenden Wissenschaft nur wenig Aufmerksamkeit zu teil. Die globale Handlungsunfähigkeit erinnert an die frühe Phase der COVID19-Pandemie, als für Austausch und die orchestrierte Abwehr des Virus kein Raum war.

Eigeninitiative und Veränderungsbereitschaft sind erlahmt – Deutschland hinkt bei der digitalen Transformation weit zurück

Nach den entschlossenen ersten Rettungsaktionen der Politik in Deutschland und Europa war die Wirtschaft in eine langanhaltende Rezession geraten. In zahlreichen Branchen wie dem Luftverkehr, dem Tourismus und der Gastronomie, aber auch der Kultur- und Veranstaltungsbranche kam es zu Insolvenzen sowie massiven und strukturellen Einbrüchen. Traditionelle Kernbranchen wie Automobil und Logistik sowie Maschinenbau und Elektrotechnik verloren auf den sich abschottenden Weltmärkten an Einfl uss. Dies ließ die Arbeitslosigkeit zusätzlich ansteigen und setzte eine Abwärtsspirale in Gang, die die deutsche Wirtschaft in den 2020er-Jahren geprägt hat. Verbunden mit der rezessiven Entwicklung war ein struktureller Verlust von Innovationsfähigkeit. Dazu trug bei, dass sich die Politik mehr um die Abbremsung oder Abfederung des Strukturwandels kümmerte, als um die Schaff ung dynamischer Rahmenbedingungen. Zudem war manchen Unternehmen mit dem Blick auf Soforthilfen und Rettungsschirme des Staates ihre Eigeninitiative abhandengekommen. Investitionen in Forschung und Entwicklung wurden ebenso reduziert wie Weiterbildungs- und Personalentwicklungsbudgets. Man wollte auf Sparflamme durch die Krise kommen, doch ohne visionäre Ideen und Mut zu progressiven Ansätzen hungerten sich die Unternehmen selbst aus. Deutschland verlor immer mehr den Abschluss an die digitale Transformation der Weltwirtschaft und versteifte sich auf seine alten Stärken, die im globalen Kontext immer weniger gefragt waren.

Mut- und Ideenlosigkeit der etablierten Politik öffnet illiberalen und autoritäten Ideen Tür und Tor

Neben der Wirtschaft haben auch Politik, Verwaltung und Gesellschaft, nach anfänglich erfolgreicher Krisenbekämpfung und hohen Zustimmungsraten, die Kurve nicht bekommen. Zwar ließen sich während der Pandemie schwerste gesundheitliche Folgen abwenden, doch die massiven Einschnitte ebenso wie die nachfolgende Rezession wiesen den Weg in eine Abstiegsgesellschaft. Hinzu kam, dass mit der Digitalisierung drastische Arbeitsplatzverluste verbunden waren, die nun auch die Wissensarbeit erfassen und neben der alten auch die neue, urbane Mittelklasse in die Defensive drängen. Selbst hochqualifi zierte Bildung wird zunehmend entwertet. Einzig eine kleine Oberklasse der Superreichen kann sich dem Abwärtstrend entziehen. Es besteht ein Trend hin zu einer Plutokratie. Angeheizt von profitorientierten und unkontrollierten Medien mit abnehmender Faktenorientierung geht der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren. Es entsteht eine Stimmungs-Demokratie, in der den an der politischen Mitte orientierte Parteien der Mut fehlt, dringend notwendige Reformen in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystemen durchzusetzen. Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die politischen Institutionen und es entstehen unstete Initiativen und Bewegungen, deren Entwicklung nur schwer kalkulierbar ist. Die politischen Ränder werden gestärkt, vor allem dann, wenn sie mit markigen Sprüchen und nach außen demonstrierter Stärke eine Rückkehr zu traditionellen Konzepten und »alter Größe« versprechen. Selbst in Deutschland entsteht der Wunsch nach einer »Politik der starken Hand«. Auch wenn die Erfolgschancen illiberaler Ideen noch ungewiss sind, besser als die mutlose Schockstarre und Reformunfähigkeit der alten Politikergeneration ist sie in den Augen weiter Teile der desillusionierten Wähler allemal.

Unter dem Druck der ökonomischen Krise ziehen sich die Menschen auf alte Handlungs- und Konsummuster zurück

Die Menschen klammern sich trotzig an Bekanntes und versuchen, den Schein der Kontrolle über ihr Leben und ihre Zukunft so lange wie möglich aufrecht zu halten. Das gilt inzwischen auch für die neue Mittelklasse, die die allgegenwärtige »Projektwelt« als neue Freiheit verklärt, auch wenn die eigenen ökonomischen Möglichkeiten immer weiter abnehmen. Für Work-Life-Balance ist immer weniger Raum, denn die Arbeitnehmer defi nieren sich über Erwerbsarbeit – insbesondere dann, wenn sie dem Substituierungssog bisher entkommen sind. Insgesamt halten die meisten Menschen an etablierten Konsummustern fest und fragen wenig nach Klimaneutralität oder Umweltfreundlichkeit. Für die einen sind diese Themen ohnehin Luxus aus einer vergangenen Zeit, für die anderen reicht ein grobes »Green-Washing«, um ihr Gewissen zu beruhigen und sich möglichst eine kleine Auszeit aus dem tristen Alltag zu nehmen, um dabei der von allen Gruppen empfundenen Ungerechtigkeit zu entgehen. Der Alltag ist von einer hohen Virtualisierung geprägt, wobei die damit einhergehende Überwachung durch den Staat und die globalen Konzerne hingenommen wird. Nennenswerten Einfluss als Konsument oder Bürger können die Menschen nicht nehmen – und auch die Intensität sozialer Kontakte ist nicht immer auf dem Niveau der vordigitalen Jahre geblieben. Hinzu kommt, dass die Arbeitsmöglichkeiten in den urbanen Räumen noch immer viele Menschen anziehen, die dort aufgrund ihres individualisierten Lebensstils drohen zu vereinsamen.

 

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